Immo Stamm
Immo Stamm wurde 1944 mit einer schweren Gesichts- und Rachenfehlbildung geboren – einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und einer zusammengewachsenen Luft- und Speiseröhre. Bis 1949 lag er deswegen durchgängig in Kliniken. Für ihn gab es keine Möglichkeit zu sprechen. Erst ab dem 5. Lebensjahr konnte er selbst Nahrung zu sich nehmen. Das Erlernen des Sprechens erfolgte erst ab dem 8. Lebensjahr. Mit 6 Jahren in die Schule gekommen, war er wegen seines Aussehens der Ignoranz seiner Mitschüler ausgesetzt. Sein Platz war auf der letzten Bank ohne Nachbarn. Später kamen Hänseleien und auch Prügeleien hinzu. Für ein Kind nahezu unvorstellbar.
Sein einziger „Verbündeter“ war seine Schwester. Sie musste ihn ständig schützen und verteidigen. Körperlich und seelisch lebte Immo Stamm unter kaum fassbaren schlechte Bedingungen. Schon von Anfang an hatte er lernen müssen, sich sehr klar und hart mit seinem Leben auseinanderzusetzen, da es bisher oft bis an seine Grenzen gegangen war. Dadurch hatte sich sein Wille geprägt und war überdurchschnittlich gestärkt. Diese auf weitem Feld einzige „Triumphkarte“ versuchte er nach und nach auszuspielen.
Er lernte, „büffelte“, strengte sich in allen Fächern extrem an und verbesserte sich so stark, dass die Mitschüler ihn allmählich wahrnahmen und in den Jahren wirklich zu ihm – aufschauten!
Es lag auf der Hand, hier und da seinen Klassenkameraden auch „etwas zurückzuzahlen“, aber genau das Gegenteil machte Immo Stamm – er half ihnen, ebenfalls die Leistungen zu verbessern. Er absolvierte das Abitur mit „1“ und zwei Drittel der Klasse verzeichneten eine sehr starke Leistungssteigerung.
Da Immo Stamm sich bis zum Jahr 1973 29 Operationen unterziehen musste, lernte er in verschiedenen Berufen, wechselte aber in den 1980er Jahren in die Industrie, nahm noch einmal ein Maschinenbau-Studium auf und arbeitete anschließend im Fritz-Heckert-Werk im damaligen Karl-Marx-Stadt. Aufgrund seines Fachwissens und seiner Sozialkompetenz wurde er mehr und mehr in leitenden Funktionen eingesetzt. Er hatte bis dahin drei Mal ein (Fern-)Studium(!) erfolgreich abgeschlossen, weitere zwei Ingenieurabschlüsse kamen dazu.
1992 verließ Immo Stamm das Fritz-Heckert-Werk und ging nach Stuttgart zu einer 2jährigen Managerausbildung zu Mercedes. Mit neuem Wissen angereichert kam er zurück und übernahm Aufgaben in leitenden Funktionen der sich wandeln müssenden Fahrzeugindustrie. Viel war er in Sachen LKW, Transporter und PKW in Europa und auch in Übersee unterwegs.1995 klopfte das erste Mal jemand an seine Tür, um eine namhafte Firma vor der Insolvenz zu bewahren. Immo Stamm nahm sich mit einem Partner der Sache an und war der führende Kopf bei der Umstrukturierung und deswegen viel in Spanien, weil dort wichtige Großmaschinen abgebaut – und in Chemnitz wieder aufgebaut wurden. 1997 begann die Produktion erfolgreich.
Ebenfalls Anfang der 90er Jahre begann die Zusammenarbeit mit der Klinik Chemnitz, um Spaltbetroffenen, also vorwiegend Kindern und deren Eltern, zu helfen. 1992 erfolgte die Vereinsgründung IFUS e.V. (www.spalt-kind.de), den er bis heute fachmännisch leitet.
Die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Sachsen e.V. (LAGSH) war 2018 in einer schwierigen Situation, als Immo Stamm Vorstandsvorsitzender wurde. Nach und nach konnten die Probleme geklärt werden. Heute sind unter der Leitung des 79jährigen 35 Verbände organisiert.
Für sein Wirken erhielt Immo Stamm 2022 das Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. (Red.)